January 29, 2015

LASS UNS GESCHICHTEN SCHREIBEN


Es wird viel diskutiert – über „Generation Maybe“, über Unsicherheit und Entscheidungsangst. Doch Mut zur Entscheidung beweisen sie immer wieder. Die Backpacker und jungen Menschen, die los ziehen um die Welt zu entdecken.




Kennst Du das Gefühl? Wenn man Bilder von traumhaften Sandstränden, tiefen Seen und weiten Landschaften sieht und sich magisch davon angezogen fühlt. Sich so ein Kribbeln vom Bauch in die Fingerspitzen zieht. Man sich nach fernen Ländern sehnt.
Diese Sehnsucht nennt sich Fernweh.
Doch anstatt sich zu entscheiden - den Mut zu fassen loszuziehen - überschlagen sich die Zeitvertreib-Versuchungen in Form von Videos, Fotos und geteilten Artikeln. Also was tun? Den Stapel an Magazinen, Filmen und Musik die man unbedingt gelesen, gesehen und gehört haben muss immer größer werden lassen? Sich von der digitalen Welt verabschieden, leise davon schleichen und nie wieder einen Blick riskieren?

Stattdessen häng ich planlos vorm Smartphone,
            wart bloß auf den nächsten Freitag.
„Ach, das mach ich später“
            ist die Baseline meines Alltags.
Ich bin so furchtbar faul
            Wie ein Kieselstein am Meeresgrund.
Ich bin so furchtbar faul,
mein Patronus ist ein Schweinehund.
Mein leben ist ein Wartezimmer,
            niemand ruft mich auf.
Mein Dopamin – das spar ich immer,
            falls ich’s noch mal brauch.

Julia Engelmann beschriebt das in ihrem Poetry-Text „One Day / Reckoning Text“ und scheint damit genau den Nerv der Zeit zu treffen. Anders lassen sich die mittlerweile über sieben Millionen Klicks des Videos zu ihrem Poetry-Slam wohl kaum erklären. Oder aber die Tatsache, dass junge Menschen etwas so angestaubtes wie eine Gedichtsammlung kaufen, mit dem sich die Psychologie-Studentin den Traum eines eigenen Buches – ein halbes Jahr nachdem das Video durch die Decke ging – erfüllt.
Es ist wohl die Faszination und das Sich-darin-Wiederfinden einer jungen Frau, die über das Leben spricht. Das Leben das aus unzähligen Möglichkeiten, unzähligen Geschichten besteht. Das damit aber auch die Chancen erhöht diese zu vertun, zu verschlafen, zu verpassen. Und dann bleibt am Ende doch nur die Erinnerung an „Geschichten die wir hätten erzählen können“. An ein Leben im Konjunktiv.

Und eines Tages, Baby, werden wir alt sein,
            oh Baby, werden wir alt sein
und an all die Geschichten denken,
            die wir hätten erzählen können.

Damit beschreibt sie ein Gefühl, das „Lebensgefühl einer ganzen Generation sein könnte“. Doch von welcher Generation ist denn die Rede? Von der „Generation Praktikum“, die sich von Arbeitsverhältnis zu Arbeitsverhältnis hangelt? Oder die „Generation Loose“, die wie die „Generation Yolo“ das Leben liebt?
Oliver Jeges nennt sie „Generation Maybe“. Die Generation ohne Eigenschaften. Und meint damit die 20- bis 30-Jährigen, die zwar gut ausgebildet, aber „ohne Plan, ohne Mut und ohne Biss“ sind. Die sich im Dschungel der Möglichkeiten verirrt haben, sich vor lauter Angst und Unsicherheit angesichts der Menge an Optionen in Schlafwandler verwandelt haben. Jeges spricht von einer Generation die sich von einem postmodernen „Anything-goes“ in ein Entweder-oder verrannt haben soll. Die der Mut zur Entscheidung fehlen würde.




Für mehr Mut zur Entscheidung plädiert auch das NEON-Magazin mit der Februar Ausgabe 2015. „Tu es!“ steht da auf der Titelseite. In dem dazu gehörenden Text spricht sich Alard von Kittlitz für mehr Mut im Leben aus. Für mehr Mut sein Leben zu ändern, sich was zu trauen. Sich nicht wie „Generation Biedermeier“ im eigenen Haus zu verkriechen. Sondern den Schritt zu wagen und vielleicht auch Fehler zu machen. Solange man sich nur getraut hat. Damit man am Ende nicht nur an die Geschichten denkt, die man hätte erzählen können, sondern sie auch gelebt hat.

Dabei gibt es sie doch schon. Diese Mutigen, die sich was trauen. Die Vertrautes zurücklassen und neues entdecken. Diese jungen Menschen, die sich vom Fernweh und Wanderlust angetrieben fühlen, die keine Lust auf Entweder-oder haben. Backpacker heißen sie. Oder Rucksack- und Alternativtouristen. Es sind diese jungen Menschen, die sich auf den Weg machen, die Welt zu entdecken.

Und sie haben historische Vorbilder. Bereits in den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts reisten junge Menschen mit dem Rucksack auf dem Rücken nach Asien und begründeten den sogenannten Hippie-Trail – Eine Reiseroute von Europa nach Südasien.
Oder die Wanderschaft der jungen Handwerker, das Trampen oder das Interrail-Ticket zeigen, dass junge Menschen schon früher den Mut hatten, sich dem Wunsch nach Welterfahrung hinzugeben.




Das Phänomen Backpacking hat zudem schon seit längerem Einzug in Film und Fernsehen gehalten. Denkt man nur mal an die Blockbusterverfilmung des Bestsellers „The Beach“(2000) mit Leonadro di Caprio in der Hauptrolle. Oder die Aussteigerverfilmung „Into the Wild“ (2007) – eine einfühlsam erzählte Geschichte über Christopher McCandless, der in der Wildnis Alaskas seinen Lebenssinn sucht. Oder der aktuell in den Kinos laufende „Der große Trip - Wild“(2014). Ein Film über Schicksalsschläge, Selbstfindung und der Wanderung auf dem Pacific Crest Trail. Beispiele für verfilmte Rucksackreisen gibt es unzählige.

Was machen Rucksackreisen also aus? Vor allem die Möglichkeit sich über Grenzen hinweg zusetzen. Die ganze Welt als Erfahrungsraum wahrzunehmen. Selbst zu entscheiden wohin man geht und welches Ziel als nächstes kommt. Jana Binder nennt es in ihrer Ethnologie über Backpacker („Globility“) „Go wherever you want“ und meint damit die Eröffnung eines scheinbar grenzenlosen Bewegungsraums. Eben die Möglichkeit nicht nur an einem Ort zu verweilen, sondern die ganze Welt zu bereisen.

Hinzu kommt das Phänomen des Zeitverlustes. Für viele Backpacker ist die Reise eine Art Auszeit, ein time out. Dabei ist nicht wichtig welcher Tag heute ist. Die Tage verlieren an Bedeutung. Zwar geht damit eine Art von Zeitverlust einher, aber man ist auch befreit von jeglicher Zwanghaftigkeit, von Terminen und Deadlines. Backpacker erleben dabei einen ursprünglichen Sinn von carpe diem: ein intensives Erleben der Zeit und des Tages.




Doch das befreiendste Gefühl, das Rucksackreisende empfinden, ist wohl die Freiheit selbst entscheiden zu können. Selbst über Zweck und Handeln zu entscheiden. Über den nächsten Schritt der Reise oder einfach was es zu Essen geben soll. Diese Zweckfreiheit lässt Raum entstehen, um über das eigene Leben nachzudenken. Über die Dinge die man noch nicht erreicht hat, die Orte die man noch sehen will, die Träume und Vorstellungen, die man verwirklichen möchte. Eben ein Stück weit sich Selbst zu finden in dem Chaos der Multi-Options-Gesellschaft.

Das sind sie also, die Mutigen. Die sich in der „Generation Maybe“ eben doch entscheiden. Also lass uns auch mal Mut beweisen und durch die Welt reisen. Uns vom Fernweh treiben lassen, neues entdecken und altes zurücklassen.
Ein bisschen Backpacker, Rucksackreisender oder Alternativtourist sein. Lass uns Mut beweisen und Geschichten schreiben.

Und eines Tages Baby,
            werden wir alt sein
und an all die Geschichten denken,
            die für immer unsere sind.


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